Seit letztem Jahr im August ist meine Tochter nun am UWC in Mostar. Vor einer Woche habe ich sie nach den Winterferien zum zweiten Mal zum Flughafen gebracht, und es hat sich diesmal komplett anders angefühlt als beim ersten Mal.
Tatsächlich war das ganze letzte Jahr geprägt von einem Wechselbad der Gefühle. Mitte Februar kam meine Tochter von ihrem Auswahlwochenende in Wiesbaden zurück und selten habe ich sie derart beseelt und begeistert erlebt.
Tatsächlich war allein dieses Wochenende schon so großartig und bereichernd für sie, dass sie danach sagte, egal, ob sie genommen werde oder nicht, das allein sei es wert gewesen.
Nun, sie wurde genommen. Und bei aller Freude, die ich als Mutter für sie mitempfand, war „Mostar“ doch erstmal ein Schock. Balkan, Jugoslawien, Krieg, völlig fremde Sprache und Kultur – das alles ging mir durch den Kopf und musste erstmal sortiert werden.
Sortiert werden mussten auch die Unterlagen für den Antrag auf ein Stipendium, ohne das meine Tochter den Platz nicht hätte annehmen können. Doch dann wurde auch diese Hürde schließlich genommen. Sie erwies sich jedoch noch als klein im Vergleich zu dem, was dann vom College in Mostar an auszufüllenden und zu besorgenden Unterlagen und Dokumenten angefordert wurde – mit einer Deadline, die mir den Schweiß auf die Stirn trieb.
Kurz zuvor hatte ich noch am Elterntreffen in Frankfurt teilgenommen, was für mich sehr bereichernd, informativ und einfach „schön“ war. So beeindruckend war es, ehemalige UWClerInnen dort zu sehen und berichten zu hören – Menschen, denen man anmerkte, dass sie besondere Erfahrungen gemacht hatten und deren Horizont einfach größer schien als der anderer junger Erwachsener. Auch über das Leben an den Colleges, das IB, die Sorgen und Fragen anderer Eltern habe ich eine Menge erfahren. Nur auf diesen Berg an Papieren konnte mich niemand vorbereiten.
Und an dieser Stelle kam ich dann zum ersten Mal in den Genuss des „UWC-Familien“-Sinns. Ich bekam eine Liste von Namen einiger Eltern, deren Kinder bereits am UWC Mostar sind und die bereit waren, mir Auskunft zu geben. Mit dreien habe ich dann gesprochen, und ich bin ihnen wirklich zutiefst dankbar. Mit jedem Gespräch wurde ich ein Stück sicherer, dass auch wir es schaffen würden, alle Unterlagen rechtzeitig zu beschaffen – und wir schafften es.
Von da an raste die Zeit nur so, und die Gespräche zu Hause begannen oft mit „Du musst dir noch x für Mostar kaufen“ oder „vergiss ja nicht, y einzupacken“. Für mich war es noch nicht wirklich vorstellbar, dass meine Tochter tatsächlich bald nach Bosnien gehen und dann auch erst in 4 Monaten wieder zurückkommen würde – was gut war, denn Abschiedsschmerz gab es daher tatsächlich erst am Tag vor dem Abflug.
Dann war sie weg. Und in den ersten vier Wochen waren meine Gedanken fast ständig bei ihr –wie geht es ihr, wie lebt sie, bekommt sie anständiges Essen, findet sie Freunde… Fragen, auf die ich zunächst nur spärlich Antworten bekam, denn gemeldet hat sie sich per Mail nur selten und nie sehr ausführlich. Ein Umstand, auf den mich die erfahrenen Eltern schon vorbereitet hatten – einmal ins Leben am College abgetaucht, ist „nach-Hause-schreiben“ eher eine lästige Nebensache, zu fordernd ist das IB und zu bunt ist das Leben.
Nach 4 Wochen haben wir dann zum ersten Mal geskypt, und von da an habe ich mich entspannter zurücklehnen können. Da war meine Tochter auf dem Bildschirm und ich sah ein zufriedenes und glückliches Mädchen, die ihren Platz gefunden hatte und der es besser nicht gehen könnte. Danach konnte ich auch mit längeren „Schweigepausen“, unterbrochen von kurzen WhatsApp-Nachrichten (wie dankbar bin ich inzwischen dem Internet!) leben.
Nun war sie gerade für 4 Wochen zu Hause, wir konnten Weihnachten wieder als komplette Familie feiern und es war alles wie immer. Fast.
Denn auch, wenn das immer noch „meine Tochter“ war, die da zurückkam, es gibt Nuancen der Veränderung, in ihrem Denken, in ihrem Auftreten, in ihrer Wahrnehmung und Beurteilung der Welt und in der Auseinandersetzung mit ihrer Zukunft.
Es ist die Sache mit dem Horizont – auch an meiner Tochter nehme ich nun wahr, was mich in Frankfurt an „UWClern“ so begeistert hatte. Und ich bin stolz auf sie und froh, dass sie die Chance, die sie durch ihren UWC-Besuch erhalten hat, so gut nutzt.
Und so habe ich vor einer Woche den Weg vom Flughafen nach Hause nicht, wie vor fünf Monaten, mit Wehmut, sondern im Gegenteil mit großer Freude und Zufriedenheit zurückgelegt und weiß, dass es die richtige Entscheidung war, meine Tochter bei ihrem Traum, an ein UWC zu kommen, immer unterstützt zu haben.
MICHAELA MANTEL, 2015-2017 UWC MOSTAR