Gerade sitze ich im Schatten eines Baumes bei uns im Collegegarten und denke darüber nach, wie alles eigentlich angefangen hatte. Nach dem natürlich wahninnig aufregenden Auswahlprozess kam dann endlich die Nachricht. Costa Rica. Wahnsinn. Nach allen Vorbereitungen, allem Packen und Tagen voller Reisefieber, ging es dann Mitte August endlich los. Einige Wochen vor meinem Abflug hatte ich schon viel mit Niranthar, meinem Co Year aus Nepal geschrieben. Es stellte sich heraus, dass wir beide ab Frankfurt den gleichen Flug nach Costa Rica haben. Nach langem Abschied am Münchner Flughafen ging es für mich nach Frankfurt, wo ich unter großer Aufregung auf Niranthar traf. Von Vornherein haben wir uns gut verstanden und so kam auch auf dem 15 Stunden langen Flug keine Langeweile auf. Nur die Gedanken, die waren da. Wie wird es wohl werden? Werde ich Freunde finden? Wird es wirklich so, wie immer auf den Blogs und Broschüren beschrieben? Ja. Das kann ich nach fünf Monaten hier in Costa Rica ganz klar sagen. Aber der Reihe nach.
Die Ankunft war intensiv, interessant, voller Emotionen, Freundschaft und Zusammenhalt. So wie der Rest meiner Erlebnisse auch. Ich kam alleine dort an. Einer unter vielen. Natürlich war ich am Anfang manchmal eingeschüchtert, ratlos und wusste nicht, was ich tun sollte oder wie mir zu Mute war. Aber letztendlich ging es allen so. Jeder kam alleine an. Aber nach einer Woche, gefühlten 10378637174 Umarmungen, zig neuer Namen (darunter Lishu, Dewey, Wabei und Kgomotso) war dann niemand mehr allein. Obwohl die erste Woche voller Informationsveranstaltungen zu Schule, Residenzleben, Regeln und CAS war, blieb trotzdem noch Zeit, um einander kennenzulernen und Freundschaften zu knüpfen. Die zweite Woche sind alle First Years und ein paar Campleader Second Years nach Roblealto in die Berge Costa Ricas gefahren, um Aktivitäten zu begehen und einander noch besser kennenzulernen. Wir schliefen in kleinen Holzhütten, machten eine Wanderung, reflektierten über unsere Aktivitäten (was man nach so ziemlich jeder Aktivität hier macht), und abends gab es meistens eine Show. Open-mic gab es auch, das ist eine Gelegenheit, bei der jeder, der Lust hat etwas vorführen kann, das heißt Singen, Tanzen, etc… Es war wirklich beeindruckend gleich in den ersten zwei Wochen solche Kulturunterschiede in Tanz und Gesang mitzubekommen. Wieder zurück im College mussten wir dann unsere Fächer wählen und der mehr oder weniger „Ernst“ der Schule begann.
Ich wurde in Costa Rica wunderbar aufgenommen, ich bekam viele Informationen, fühlte mich integriert und gut vorbereitet auf meine Zeit hier. Gleich wurden Freundschaften geschlossen, Wünsche, Erwartungen und Träume ausgetauscht und viel gelacht und umarmt. Ich kann sagen, dass es alles andere als ein holpriger Start war, ich fühlte mich frisch und voller Energie und Vorfreude auf das, was kommen würde.
UWC besteht ja sowohl aus dem außerschulischen Leben, wie Unternehmungen, Freizeit (davon zugegebener Maßen nur sehr begrenzt) und CAS, als auch aus dem IB, Projekttagen und Wochen, Kulturellen Wochen, LGBT und Women’s Week und vielem mehr. CAS (Creativity, Action and Service) sind Projekte, die man mehrmals die Woche nach der Schule macht, um sich sportlich, sozial und kreativ zu engagieren. Als Action habe ich Zumba, als Creativity Philosophie und als Service Models United Nations und La Carpio, das ist einer der größten Slums Zentralamerikas für den wir uns engagieren. Wir helfen dort den Kindern Englisch zu lernen und einfach ein paar schöne Stunden zu verbringen. Diese Projekte haben wir dreimal in der Woche für jeweils zwei Stunden nachmittags. Ich genieße die Vielfalt, mit der es einem möglich wird, sich in vielen Bereichen einzubringen und seine Vorlieben auszuleben. Es gibt eine Vielzahl an Projekten, darunter Mountainbiking, Dog Foster Care, Clowning, Zeichnen, Theater und Story-Telling. Man kann zweimal im Jahr die Projekte wechseln, so viele davon machen wie man möchte und auch eigene gründen. Abgesehen von CAS, Schule und oben genannten Projekten gibt es noch wöchentliche Residenz Meetings, Community Meetings, Regional Weeks, Days of… (World Aids Day, World’s Children’s Day) etc. Mir war in fünf Monaten noch nie langweilig, am liebsten würde ich noch bei so vielen mehr Dingen mithelfen. Bei uns an der Schule ist für mich herausragend, dass wir so ein hohes Maß an Basisdemokratie haben. Es gibt Dinge wie den Student-Council, Financial Committee und andere Institutionen, durch die den Schülern die Möglichkeit gegeben wird, ihre Meinung zu äußern und aktiv die Schule mitzugestalten. Es ging neulich darum, nachts eine Art „Aufsicht“ einzustellen, die im Notfall für uns da ist, wenn sonst niemand Bereitschaft hat. Da hat sich dann auch die Residential-Life-Coordiantor mit allen Interessierten in einen Kreis auf den Boden der Library gesetzt, um dieses Thema zu besprechen und unsere Meinung einzuholen.
Die Schule ist ganz anders, als ich es erwartet hatte, für mich fühlt es sich ein bisschen an wie ein „Schnupperkurs Uni“, und ich bin einfach begeistert. Ich muss dazu sagen, dass ich schon immer gerne gelernt habe, aber die Möglichkeit, dies hier, in so einem Umfeld und mit diesen Möglichkeiten zu machen, macht mich jeden Tag aufs Neue glücklich. Unser College, das das einzige zweisprachige UWC ist (Spanisch und Englisch), bietet viele verschiedene Fächerkombinationen an, in beiden Sprachen, und jeder, den ich kenne, ist bis jetzt mit seiner Fächerwahl zufrieden. Man kann sogar bis sechs Wochen nach Schulbeginn seine Fächer wechseln, was ich unter anderem auch ausgenutzt habe. Es gibt bestimmte Regelungen und Vorgaben des IBs, die natürlich eingehalten werden müssen, aber ansonsten hat man komplette Wahlfreiheit und ich bin mittlerweile wahnsinnig glücklich mit meinem Stundenplan. Meine Fächer sind im Standard Level Spanish Ab Initio (Spanisch für Einsteiger), Environmental Systems and Societies und Mathematical Studies. Im Higher Level habe ich English Language and Literature A, History und Social and Cultural Anthropology. Meine Liebe für Geisteswissenschaften, Sozialwissenschaften und Sprachen kann ich hier voll ausleben, der Unterricht an sich ist zwar fordernd, aber anregend und inspirierend. Es ist nicht wie die Schule in Deutschland oder England (wo ich ein Auslandsjahr gemacht habe), sondern es wird sehr viel Wert auf selbständiges Lernen und Gruppenarbeit gelegt. Ich kann dabei aber nur für meine Fächer sprechen. In Higher Level Chemie sieht der Unterricht vielleicht ganz anders aus. Wir werden von den Lehrern geguided und begleitet, viel findet aber durch intensive Gruppenarbeit oder selbständiges Lesen und Lernen statt. Wir werden behandelt wie Erwachsene, sind für unsere Leistungen und unseren Erfolg verantwortlich, wobei der Fokus in der Schule primär auf Interesse und Passion sowie auf gegenseitigem Voneinander-Lernen und interkulturellem Austausch liegt. Natürlich ist der akademische Erfolg ebenfalls sehr wichtig für uns, aber es ist nicht so, dass wir gezwungen werden, fünf Stunden am Tag außerhalb der Schule zu lernen. Jeder kann seine Lernzeit selbst einteilen und Prioritäten setzen. Wir leben hier in der Schule, aber wir leben auch mit der Schule und binden sie ein in unsere Pläne und Aktivitäten und verbinden sie mit unseren Projekten. Wir arbeiten zusammen für eine bessere Zukunft, Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechte.
Das Leben auf einem Campus ist natürlich ebenfalls sehr anders als alles was ich vor UWC kennengelernt hatte. Die ersten Nächte mit zwei anderen Menschen im Zimmer (Guy aus Südafrika und Juan-Sebastian aus Kolumbien) fühlen sich schon komisch an. Die erste Woche Cafeteria-Essen und gemeinsam mit anderen Leuten zusammen Zähne zu putzen ist herausfordernd. Aber nach spätestens zwei Wochen ist es normal, dass andere im Bademantel oder Pyjama zum Unterricht kommen, es ist normal, dass es zum dritten Mal in der Woche Reis mit Bohnen und Hühnchen gibt, es ist normal, dass das Klo besetzt ist und du dreimal zurückkommen musst, bevor du beschließt einfach in eine andere Residenz zu gehen. Es ist normal, dass im Nebenzimmer Bollywood Musik gespielt wird und einen Stock tiefer afrikanische Voodoo-Tänze aufgeführt werden. Ehe man sich versieht fängt alles das an normal zu werden. Und man lernt es zu lieben. Natürlich ist man manchmal genervt, es ist einem alles zu viel, aber vier Wochen Ferien über Weihnachten in Deutschland haben mir gezeigt, wie sehr ich diesen Platz und vor allem die Menschen hier vermisst habe. In den Ferien habe ich zwei meiner dänischen Freundinnen vom College hier in Kopenhagen besucht. Ich habe mit Lishu in China geskyped und mit Rainier aus den USA gechattet. Für nichts in der Welt würde ich das eintauschen. All die Erfahrungen, die ich gemacht habe, all die Freunde, die ich gefunden habe, Freunde auf der ganzen Welt, alles, was ich gelernt habe hier ist so unbezahlbar. Ich würde es wieder tun, auf jeden Fall. Ich rate jedem, der die Chance hat von UWC zu wissen, sich zu bewerben. Tu es, schmeiß dich ins Abenteuer und trau dich raus. UWC ist intensiv, ergreifend, voller Gefühle, Gedanken, Erlebnisse, Diskussionen, und allem zusammen. Hier sitze ich, im Schatten der brütenden Sonne Costa Ricas und denke zurück an alles was war. Und an alles was kommen wird. Ich bin bereit.