Wenn in einem Saal Vertreter von mehr als 80 verschiedenen Nationen und
sechs Kontinenten zusammensitzen und über philosophische Fragen oder Weltkonflikte diskutieren, dann müssen das nicht unbedingt Politiker oder Experten der UNO sein, nein, es können auch ganz normale Schüler wie du und ich sein. Wortwörtlich, denn ich gehe momentan an die internationale Schule „Li Po Chun United World College of Hong Kong“, die, wie könnte es anders sein, in Hong Kong liegt. Dort gehen Schüler aus allen Ländern und Kontinenten zusammen zur Schule, lernen, schlafen und knüpfen vor allem Freundschaften.
Um mit dem Anfang zu beginnen: Ich heiße Michael Wagner und komme aus Rheinland-Pfalz. Ich mache gerne Musik und Sport und habe eine große Familie (5 Geschwister!!). Bis vor kurzem ging ich noch in ein ganz normales staatliches Gymnasium hier in Landau. Also, wie kommt es, dass jemand wie ich auf einmal an einer der interessantesten Schulen der Welt landet? Da ich schon immer sehr neugierig war und auch einmal etwas anderes außer meiner schönen Heimat, der Pfalz, entdecken wollte, verbrachte ich ein Jahr an einer Schule in Frankreich. Inspiriert durch meine größeren Geschwister träumte ich schon seit langem von einem Platz an einem United World College. Ich informierte mich darüber, dass man mit Leuten aus aller Welt verschiedensten Aktivitäten nachgehen und sich gleichzeitig sozial engagieren kann.
Ich bewarb mich zwar mit geringer Erwartung, doch viel Hoffnung auf einen der begehrten Plätze an einem United World College. Groß war meine Freude, als ich eine Zusage bekam. Dank eines Teilstipendiums von der Stiftung UWC Deutschland stand meiner Schullaufbahn in Hong Kong nichts mehr im Wege. Mir war etwas mulmig bei der Vorstellung, den ganzen Tag Englisch zu sprechen, den vielen neuen Leuten und den schulischen Anforderungen. In der Schule angekommen verflüchtigten sich meine Ängste: Jeder war in der gleichen Situation wie ich! Alle waren offen, die Schwierigkeiten wurden bald durch neue Freundschaften überwunden.
Inzwischen kommen meine Freunde aus Hongkong, Tadschikistan, Mauritius, Korea, Vietnam, Südamerika, Nordamerika, Nigeria, Neuseeland, Europa, … zu viele Länder um sie alle hier aufzuzählen. Mein Zimmer habe ich das vergangene Jahr mit drei weiteren Jungen, aus Hongkong und aus Mexiko, geteilt. Anfangs war es gewöhnungsbedürftig, aber bald waren wir alle gute Freunde und ich vermisse die lustigen Momente, wenn ich jetzt alleine in meinem Zimmer in Deutschland bin.
Das vergangene Jahr hat meinen Horizont mehr erweitert und meine persönliche Entwicklung mehr vorangebracht als die vorausgegangenen Schuljahre in Deutschland. Das Tolle ist das Ausprobieren komplett neuer Dinge. So hatte ich vorher noch nie Theater gespielt. Ich nahm an einem Theaterstück teil, und die vielen Stunden, die wir zusammen verbrachten, haben mir neben dem Schauspielen auch Geduld, mehr Verständnis für Theater und Kunst und nicht zuletzt auch neue Freunde eingebracht! Als wir dann das Theaterstück in der Schule aufführten, war es ein voller Erfolg.
Natürlich erfährt man auch sehr viel über Hongkong und die chinesische Kultur selbst: Zuerst einmal möchte ich sagen, dass Hongkong sich sehr von China unterscheidet. Man hat viel mehr Freiheit, es gibt keine willkürliche Regierung und von Zensur habe ich auch nichts gemerkt. Den Unterschied durfte ich dann auch während „China week“ persönlich erfahren. Sechs Tage lang fuhren wir in Gruppen in verschiedene Gebiete Chinas und unternahmen ganz unterschiedliche Dinge. Ich nahm an einem Sporttrip teil, bei dem wir mit dem Fahrrad, zu Fuß und mit dem Kajak in einer der schönsten Gegenden Chinas unterwegs waren. Die Gegend ist sehr ländlich, und die Leute sind nicht so wohlhabend wie in Deutschland. Facebook gibt es dort auch nicht und der Verkehr kann sehr chaotisch sein. Wir bestiegen tolle fingerhutförmige Berge, besichtigten Fischerdörfer und sahen traditionell chinesische Tänze. Wir aßen chinesische Knödel, Reis mit Hühnchen und chinesische Nudeln.
Auch in der Schule selbst kann man die chinesische Kultur gut kennenlernen. Es wird Mandarin angeboten ebenso wie chinesische Geschichte. Ich selber praktiziere den traditionell chinesischen „Löwentanz“ (Lion Dance), der aus dem Kung Fu entstanden ist und der sowohl Tanz wie Sport ist. Als Paar bildet man immer einen Löwen, wobei ich der Kopf bin und Bellamy aus Südkorea/England das Hinterteil bildet. Gemeinsam tragen wir dann das Kostüm eines chinesischen Löwen und vollführen Tänze, die aus Sprüngen auf Bellamys Schultern, Purzelbäumen, wütenden Drohgebärden des Löwen und vielem mehr bestehen. Jede Woche treffen wir uns für zwei Stunden zum Üben, denn man muss nicht nur artistisches Können erlernen, sondern auch sportliche Fitness erarbeiten. Ein gutes Beispiel für die Mischung von traditioneller chinesischer Kultur und der Moderne ist folgendes: Die Löwen tanzen zu „Move, Shake, Drop“ Hip Hop und traditionelle Tanzfiguren.
Alle zwei Monate gibt es „Kulturabende“, bei denen Schüler die Kultur ihrer Heimat durch Tänze, Gedichte, Sketche vorstellen können. Monatelang wird im Voraus geplant, um typische Speisen ihrer Region zuzubereiten und das Programm einzustudieren. Allerdings kann man sich auch an den Shows anderer Regionen beteiligen: Ich habe z.B. in Theaterszenen am afrikanischen Kulturabend teilgenommen, Tango am lateinamerikanischen Abend getanzt, Löwentanz beim chinesischen Kulturabend aufgeführt und beim europäischen Kulturabend Walzer und Hip Hop getanzt. Das gemeinsame Proben ist anstrengend und nimmt Zeit in Anspruch, aber es schweißt auch enorm zusammen. Man wird belohnt durch die Präsentation des Programms vor den Schülern und Lehrern.
Mir gefällt der Austausch mit Leuten aus aller Welt: das heimische Essen, Religion oder persönliche Erfahrungen zum Konflikt im Nahen Osten. Der Unterricht ist einmalig, wenn man mit einem Chinesen, einem Iraner, jemandem aus dem Jemen, Montenegro, Ghana oder Lateinamerika über das Thema „Freier Wille oder Schicksal“ diskutiert.
In meinem Jahr am UWC Li Po Chun habe ich aber auch ganz praktische Dinge wie z.B. Wäsche selber waschen oder einkaufen gelernt. Ich bin viel selbstständiger und sicherer, aber auch offener und selbstkritischer geworden, habe zahllose neue Freundschaften geschlossen, alte Dinge aus neuen Blickwinkeln betrachtet und meine Sicht der Welt überdacht.
Jetzt ist es wichtig für mich, die Nachricht der Völkerverständigung weiterzugeben. Anstatt sich mit Bomben zu bewerfen, lieber in freundschaftlicher Diskussion argumentieren, um am Ende bereichert hervorzugehen, reich an Erfahrung, an Freundschaft, an Wissen, an Liebe für andere Menschen und für andere Kulturen. Da ist es doch gar nicht wichtig, ob die Person neben mir schwarz, weiß oder gelb, schwul, bisexuell oder homosexuell ist, an Gott glaubt oder nicht, aus dem Norden, Süden, Osten oder Westen kommt, solange ich weiß, es ist ein Freund, mit dem ich über alles reden kann.
Ich will die Nachricht der United World Colleges weitertragen und wie es in dem Lied vom Auswahlwochenende so schön heißt: „Making melodies in my heart, makiny melodies in my heart, making melodies in my heart for UWC.“