Paula Bausch – Norwegen

„Ich bin so dankbar für all die Leute, die ich treffen durfte und mit denen ich Freundschaften schließen durfte. Ich bin dankbar für die Auslandserfahrung, für mein Zimmer, für all die Möglichkeiten, die ich habe, und ich bin dankbar für die Freiheit, die wir haben.“

Erstmal wow, wie viel passiert ist in diesen ersten vier Monaten, wie unglaublich dankbar ich bin für die Zeit, die ich hatte und wie sehr ich mich schon darauf freue, nach den Winterferien wieder zurück zu kommen! Wer hätte das gedacht? Vor sehr langer Zeit nämlich fürchtete ich mich sogar noch davor, gar nicht in Norwegen bleiben zu dürfen wegen Visa deadlines, Residence permits, etc. Ich hatte da ein paar Dinge versäumt und mir unfassbar Sorgen gemacht. Ich habe mir sogar Sorgen gemacht, weil ich kurz vor der Abfahrt noch meine Krankenkassenkarte verloren hatte und dachte, jetzt komm ich an und die sind direkt sauer auf mich. Außerdem hatte ich irgendwie Angst, keine Freunde zu finden, mich unwohl zu fühlen, Heimweh zu bekommen. Aber es half ja nichts, ich hab mich ja auch drauf gefreut, und so ging es los. Ich nehme mal an, ich hatte die klassische erste Begegnung mit all meinen Co-years, so mit Name und Land, das dann gleich wieder vergessen und noch viermal Nachfragen. Ich verbrachte damit dann vermutlich sechs oder mehr Stunden am Flughafen in Bergen, um dann irgendwann in der Nacht in einen Kleinbus verfrachtet in die Dunkelheit gefahren zu werden. Und irgendwann tauchte in dieser Dunkelheit das Flekke-Schild auf. Fünf Minuten später trommelten unzählige Fäuste auf den Bus ein, Tröten tröteten, Leute schrien und Schilder wurden hochgehalten. Es war Wahnsinn, ich traf auf einige, von Bildern bekannte Gesichter und auf meine Roomies, ich kam in mein neues Zimmer, mein neues Zuhause und irgendwie schaffte es sogar mein Koffer ins Zimmer. Meine Emotionen spielten verrückt. Wie weit weg mir das alles heute vorkommt!

Wie auch immer, es folgte eine wundervolle Introduction Week, in der ich mir all die Namen und Gesichter einzuprägen versuchte. Wir hatten so viel Programm, dass es schwierig war, sich überhaupt über irgendetwas Anderes Gedanken zu machen, als den nächsten Programmpunkt. Bezüglich meiner organisatorischen Sorgen löste sich alles in Luft auf, ich glaube, das Amt benötigte nicht mal die Hälfte meiner Papiere, vielleicht sogar nur meinen Pass! Also mein Rat an die Zukunft: Stresst euch um Gottes Willen nicht wegen Formalien, verpassten Deadlines oder falsch ausgefüllten Formularen. (Zumindest was Norwegen angeht.) Außerdem, macht euch keine Sorgen wegen der Sprache, dem Level des Unterrichts oder solchen Sachen, denn das College hat wirklich Erfahrung mit allerlei Fällen und ihr seid nie allein mit euren Problemen. Ich weiß, dass „mach dir keine Sorgen“ immer leichter gesagt als getan ist, aber zumindest habt’s im Hinterkopf.

Mein Schulalltag schaut folgendermaßen aus: Ich stehe auf, gehe im besten Fall frühstücken und habe dann eine Unterrichtsstunde von 8:00-9:20. Dann haben wir 20 Minuten Cookie Break (was total irreführend ist, da gibt es keine Cookies, sondern Knäckebrot. KNÄCKEBROT!). Das wird auch gerne mal als Frühstück genutzt. Danach gibt es nochmal 2 Unterrichtsstunden bis um 12:00 Uhr, und dann gibt’s Mittagessen. Zu guter Letzt darf ich noch eine letzte Stunde genießen, und dann ist es um 14:00 Uhr auch wieder gut mit Unterricht. Manchmal habe ich auch nicht vier Stunden, sondern nur drei, weil ich eine Freistunde habe, die wird aber bald mit TOK gefüllt. So eine Freistunde kann echt nützlich sein, etwa um produktiv zu sein oder um Schlaf nachzuholen. Ich kann ja in meinem eigenen Bett schlafen, das mit den Freistunden genieße ich schon sehr… Was mir an dem System sehr gut gefällt, ist die Tatsache, dass ich maximal vier Stunden an einem Tag habe, das heißt man muss sich maximal auf vier Fächer vorbereiten. Außerdem gibt es keine Exen oder Ausfragen, Tests sind meistens angesagt und wenn nicht, dann zählen die Ergebnisse auch nicht für den Abschluss. Das nimmt enorm den Druck raus und vermittelt so ein bisschen das Gefühl, dass die Tests tatsächlich dazu da sind, um Feedback zu geben und das die Lehrer mit statt gegen dich arbeiten.

Mein College versucht nicht nur das CAS Programm abzudecken, sondern hat auch Angebote entsprechend der drei „Pillars“, Umwelt, Nordic und Humanitäres. Also gibt es sechs Dinge, die man im Bestfall über die zwei Jahre mal abgearbeitet hat. Ich bin im Moment bei fünf von sechs, also ganz gut dabei. Im Summer Term habe ich Arabisch und Wasserpolo belegt, außerdem gibt es einen Club namens Rafto, in dem Schüler Vorträge zu aktuellen politischen Themen halten, was mich persönlich extrem interessiert hat, gerade auch weil mein Sozialkundeunterricht in Deutschland ziemlich schlecht war und mal ernsthaft, wie cool ist das bitte, wenn man von Leuten aus Russland und Moldavien über die Ukraine erzählt bekommt? Oder von einem aus Weißrussland über die Wahlen dort? Das ist UWC für mich und deshalb hab ich das besonders genossen. Im Winter Term hab ich das aber leider abgewählt, um ein paar neue Dinge auszuprobieren, weil das für mich genauso UWC ist. Also hab ich jetzt immernoch Arabisch (dass ich davon auch wirklich was mitnehme), ich helfe in der Küche, habe eine Art Malstunde mit den Patienten des nahegelegenen Reha- Zentrums, einen Performing Arts-Kurs (für die musikalische Ader :P), und zu guter Letzt habe ich noch Goal-Ball, ein Sport für Blinde, in dem ich zugegebenermaßen noch relativ schlecht bin. All diese Dinge habe ich gewählt, weil es mich irgendwie gereizt hat, Malen ist einfach super gemütlich und schön, die Arbeit in der Küche erinnert mich immer wieder daran, dankbar zu sein und sich dessen bewusst, was für eine Arbeit hinter unserem Schulalltag eigentlich steht. Und Arabisch ist einfach eine wundervolle Sprache.

Ich wohne in Iceland House, eines von fünf Häusern, die nach nordischen Ländern benannt sind. In jedem Haus wohnen ca. 40 Schüler, Jungs und Mädels gemischt. In den Häusern gibt es dann meist Fünfer, manchmal Viererzimmer. In jedem wohnt normalerweise jemand aus einem nordischen Land und sonst möglichst gemischt Schüler aus aller Welt. Ich wohne in einem Zimmer mit Mädchen aus Paraguay, Pakistan, Swasiland und Norwegen und ich muss sagen, ich schätze diesen internationalen Input wirklich sehr! Bevor ich gekommen bin, dachte ich mir „eieiei fünf Leute das ist ja voll viel!“, aber mittlerweile glaube ich, das erhöht die Chance, einen oder mehrere sehr gute Freunde zu finden, außerdem liegt es in der Natur der Sache, dass man seine Roomies und deren Kultur recht gut kennen lernt und je mehr je besser, oder? Auf der anderen Seite hat es natürlich Nachteile, mit so vielen Leuten zusammenzuwohnen, weil man ja auch immer an jemanden geraten kann, mit dem man nicht so gut auskommt. Ich hatte viel Glück mit beidem, mein Zimmer ist unglaublich ruhig und rücksichtsvoll.

Ich habe in meiner ersten Zeit gemerkt, dass ich ein Mensch bin, der sehr viel Liebe, Zuneigung und vielleicht auch körperliche Nähe braucht. Vorher war mir das so gar nicht bewusst. Außerdem habe ich gelernt, mit was für Menschen ich mich in der Zukunft umgeben will oder welche Eigenschaften mir an Menschen wichtig sind und das ist vor allem, dass man positiv ist und sich nicht unnötig über Dinge beschwert und pessimistisch ist. Nicht, dass man sich nicht mal beschweren muss, dagegen habe ich gar nichts, das mache ich ja auch, aber eine gewisse positive Grundeinstellung macht das Miteinander für mich einfach so viel entspannter, und ich weiß, dass das eine der Eigenschaften ist, die ich bei anderen und bei mir selbst immer wieder suchen werde. Vielleicht habe ich mich verändert, wobei man das selbst immer schwer mitbekommt. Im Grunde ist es mir nur aufgefallen, als ich wieder nach Hause gekommen bin und gesehen habe, wie wenig sich eigentlich die anderen verändert haben. Ich glaube, ich bin weltoffener geworden und habe viel mehr ein Auge dafür, was so in der Welt passiert und warum. Und das liegt definitiv an UWC und dem Konzept mit der Internationalität.

Unerwartetes: Ich habe in den Winterferien das deutsche College besucht und ich habe mich sofort wohl gefühlt! Nicht nur, dass ich viele Gesichter schon kannte, es fiel mir auch sehr leicht, neue Kontakte zu knüpfen und mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Ich hätte nicht gedacht, dass mir diese Erfahrung in Norwegen Türen in ganz anderen Orten öffnet. Zumindest nicht in diesem Sinn. Außerdem war und bin ich überrascht, wie unterschiedlich Freundschaften am UWC und zuhause funktionieren. Wenn man daheim Tee mit jemandem trinkt, dann heißt das schon was, in RCN ist dein Freundschaftsstatus manchmal immer noch offen. Zudem denke ich, dass es schon ein bisschen was von einem sozialen Experiment hat, dass jeder den Freundeskreis von jedem kennt. Diese Tatsache und deren Auswirkungen, waren mir nicht bewusst, bevor ich gekommen bin. Als letzte unerwartete Sache würde ich unsere Beziehung zu Universitäten nennen. Dass Unis aus England und Amerika zu uns kommen, um uns anzuwerben ist für mich ein Konzept, das ich vorher absolut nicht kannte.

Wie auch immer, ich habe die Zeit unfassbar genossen, und ich bin so dankbar für all die Leute, die ich treffen durfte und mit denen ich Freundschaften schließen durfte. Ich bin dankbar für die Auslandserfahrung, für mein Zimmer, für all die Möglichkeiten, die ich habe und ich bin dankbar für die Freiheit, die wir haben. In diesem Sinne freue ich mich sehr auf den 2nd Term!