Eltern-Erfahrungsbericht über die Collegezeit meiner Tochter am UWC South East Asia, Singapur

Milena besucht seit Herbst 2020 das United World College South East Asia in Singapur. Hier berichtet ihre Mutter über die Anfangszeit ihrer Tochter am College.

Ein Abenteuer für die ganze Familie

Unser UWC-Abenteuer begann am 14. Juni 2017 in Italien mit einem Ausflug nach Duino. Im Reiseführer wurde auf das UWC of the Adriatic hingewiesen, doch damals ahnte keiner von uns, dass diese wenigen Zeilen das Leben unserer ganzen Familie verändern sollten. Zwei Jahre später überlegte unsere jüngste Tochter Milena – damals gerade 16 Jahre alt und noch in der 11. Klasse – was sie als Minderjährige im kommenden Jahr nach ihrem Abitur machen könnte. Sie bewarb sich beim UWC, und parallel erkundigte sie sich nach Au-Pair-Stellen, Praktikumsplätzen und Stellen in einem Freiwilligenjahr. Wie sich herausstellte, ist bei den richtig interessanten Tätigkeiten das Mindestalter immer 18 Jahre. Als die Einladung zum UWC-Auswahlwochenende in Wiesbaden im Februar 2020 kam und bald darauf auch die Zusage für einen Platz am UWC South East Asia in Singapur, war bei uns allen die Freude riesengroß.

Unsere drei Kinder – zu diesem Zeitpunkt 16, 21 und 23 Jahre alt – strebten schon immer nach Unabhängigkeit. Wie einige Jahre zuvor ihre ältere Schwester hatte auch Milena in der 10. Klasse sechs Monate in Frankreich in einer Gastfamilie verbracht, sogar über Weihnachten. Deshalb sahen wir Eltern den zwei kommenden Jahren zunächst gelassen entgegen.

Zwei große Themen sollten uns allerdings in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen, nämlich die Covid-19-Pandemie und die für das Kindergeld zuständige Familienkasse der Deutschen Bundesbank, des Dienstherrn von Milenas Vater Konrad.

 

Leben im Lockdown

Im März 2020 wurde wegen der Covid-19-Pandemie der Lockdown ausgerufen. Es folgten Home-Office, Remote-Unterricht und Online-Vorlesungen, die das WLAN regelmäßig in die Knie zwangen, denn auch die beiden studierenden Geschwister von Milena waren wegen des Lockdowns zeitweise wieder zu Hause eingezogen. Eine Krise sitzt sich eben leichter auf dem Lande aus. Milenas Leben war erfüllt von Abiturvorbereitungen und -prüfungen unter Coronabedingungen, vom Verfassen der Abizeitung und von dem Bangen, ob Fahrstunden und die Führerscheinprüfung noch rechtzeitig vor ihrer Abreise stattfinden könnten. In der Hoffnung, in den Ferien Studienreisen ins benachbarte Ausland unternehmen zu können, unterzog Milena sich einem wahren Impfmarathon gegen zehn im asiatischen Raum verbreitete Infektionskrankheiten.

Sehr schade war es, dass das geplante Elterntreffen im April nicht in Präsenz stattfinden konnte, doch die Online-Variante war geschickt organisiert und die Kontakte zu den anderen Eltern, deren Kinder damals schon ein UWC in Asien besuchten oder demnächst besuchen sollten, erwiesen sich als überaus wertvoll.

Wir erhielten die bestmögliche Unterstützung vom UWC.

Es war unklar, ob und wann Milena nach Singapur einreisen dürfte. Ich war beeindruckt, wie gut alles organisiert war – von seiten der Deutschen Stiftung UWC und vom UWCSEA. Die herzlich formulierten Nachrichten aus Singapur und Berlin sorgten dafür, dass das Stimmungsbarometer im Hause Hölzle nicht allzutief sank.

 

In der Warteschleife

Milenas Schuljahr in Grade 11 begann im August enttäuschend mit Remote-Unterricht. Statt in einem fernen Land eine internationale Schule zu besuchen, saß Milena zu Hause am Laptop. Sie hat in der ersten UWC-Schulwoche nach deutscher Zeit gelebt und gelernt, mit Videos, die ihr zur Verfügung gestellt worden sind. Das fand sie unbefriedigend, und es hat anscheinend auch nicht immer gut geklappt. Daraufhin hat sie sich entschieden, nach Singapur-Zeit zu leben und ab 2 Uhr morgens live am Unterricht teilzunehmen. Es ist schon befremdlich, wenn die fast erwachsene Tochter sich am späten Nachmittag um kurz nach fünf mit einem fröhlichen “Gute Nacht” ins Bett verabschiedet …

Im September hing Milena immer noch in der Warteschleife. Für mich war das UWC-Treffen in Freiburg ein Lichtblick, und genau an diesem Tag kam auch die Aufforderung, den Flug zu buchen. Es ging aufwärts! Milenas Schwester Lioba begleitete mich nach Freiburg. Wir haben es genossen, die anderen Familien kennenzulernen. Im Nachhinein hat Milena es sehr bedauert, dass sie nicht selber mitgekommen ist, denn den versäumten Online-Unterricht hätte sie leicht nachholen können.

Am 23. September war der große Tag gekommen. Wir brachten Milena auf den beinahe menschenleeren Flughafen in München, wo sie ohne jede Wartezeit eincheckte, mit einem Koffer, der exakt die erlaubten 23 Kilogramm wog. Der erste Flug ihres Lebens ging über Frankfurt nach Singapur, und von dort wurde sie für die 14-tägige Quarantäne direkt in ein Hotelzimmer verfrachtet. Wir zu Hause gebliebenen hielten WhatsApp- und Telefonkontakt und lasen fasziniert ihren Blog https://milenarrative.com. Es war auch für uns alles sehr neu und aufregend.

 

Drohende Kindergeld-Streichung

Milena erhält von der Deutschen Stiftung UWC ein großzügiges Stipendium, für das wir sehr dankbar sind. Ihre älteren Geschwister bekamen BAföG und arbeiteten als Werkstudenten. Wesentlicher Bestandteil der Finanzierung dieser Ausbildungen war und ist das Kindergeld. Hier präsentierte uns die zuständige Sachbearbeiterin plötzlich unerwartete Probleme. Milena besuche eine Schule in einem Land außerhalb der Europäischen Union und wir müssten glaubhaft machen, dass sie nach wie vor unserem Haushalt angehöre. Sie müsse deshalb wenigstens 50 % der gesamten Schulferien zu Hause verbringen, was wir anhand der Flugtickets nachweisen müssten. Gut. Wir rechneten also penibel die Ferienzeiten auf. Tanja Lewandowitz vom Stiftungsbüro bestätigte schriftlich den derzeitigen Stand mit verspäteter Anreise und Remote-Unterricht. Schließlich kamen wir mit der Familienkasse überein, dass es ausreichend wäre, wenn Milena die gesamten Sommerferien zu Hause verbringen würde und kurz vor Weihnachten wurde uns dann das Kindergeld zumindest bis Milenas 18. Geburtstag bewilligt, also bis April 2021.

In genau jenem April zeichnete sich jedoch ab, dass Milena auch in den Sommerferien nicht nach Hause kommen würde: Singapur hatte wegen steigender Inzidenzen zu diesem Zeitpunkt die Quarantäne auf drei Wochen verlängert, so dass von sieben Wochen Ferien nur noch vier übrigbleiben würden, und das in einem bayerischen Landkreis mit mit einer 7 Tage-Inzidenz von über 200, in dem permanent ein Lockdown drohte. Außerdem konnte niemand garantieren, ob überhaupt eine Wiedereinreise nach Singapur zum gewünschten Zeitraum stattfinden könnte, so dass unter Umständen Milenas Schuljahr in Grade 12 auf dem Spiel stand. Milena bevorzugte es, ihren Flug zu stornieren und die Sommerferien bei einer Gastfamilie zu verbringen. Für uns Eltern verursachte diese Entscheidung zahlreiche Telefonate und umfangreichen Schriftverkehr mit der Kindergeldstelle. Nach einer vierseitigen Stellungnahme, in dem wir die ganze Situation mit allen Unwägbarkeiten analysierten, gab sich die Sachbearbeiterin schließlich zufrieden. Das Kindergeld ist gesichert.

 

Ein Wiedersehen nach 15 Monaten

Die Lage in Singapur scheint sich zu entspannen und die Reproduktionszahl sinkt seit Mitte September. Sie liegt seit Mitte Oktober beständig unter 1,2 und die Regierung hat einen Reisekorridor für Geimpfte eingerichtet. Ohne Quarantäne. Wir nutzten die Gunst der Stunde und buchten umgehend einen Flug für die ganze Familie, um Milena nach 15 Monaten wieder zu treffen. Wir werden Weihnachten und Silvester mit allen drei Kindern zusammen in Singapur verbringen!

 

Daniela Hölzle, Mutter von Milena, UWC SEA 2020-22